Von Oleg (Gast)
Erstellt vor 16 Jahren
#27308

Vorleser, Schuldfrage...

Ich hab meine Vorabiklausur in Deutsch über den Vorleser geschrieben.
Die Schuldfrage des Romans sollte dabei besonders berücksichtigt werden.
Ich habe geschrieben, dass Hanna auf der einen Seite auf Grund ihres Analphabetismus, ihrer "Unmündigkeit", nicht zur rechenschaft gezogen werden kann - das ist ein Argument aus dem Roman. Sie ist auf dem Land aufgewachsen, keine Bildung, keine objektive moralische Erziehung; auf Grund dieser Tatsachen nicht differenzierungsfähig.
Ein anderes Argument für die Unschuld Hannas ist die These, dass das "Denken" und das "Handeln" eines Menschen grundsetzlich voneinander getrennt werden müssen und dass das "Handeln" des Menschen Triebe verfolgt (Anlehnung an Sigmund Freuds philosophischer Sichtweise). Somit war Hannas Entschheidung ins KZ zu gehen und dort als Aufseherin zu arbeiten eine Reaktion auf ihre Angst - die Angst, ihren Analphabetismus preiszugeben.
Diese und noch einige kleinere Argumente stehen für die Unschuld Hannas.
Gegenargumente waren folgende: Hanna hatte die freie Wahl (und selbst im faschistischen Deutschland hatten die Bürger sehr wohl die Wahl) zwischen einem unangenehmen Eingeständniss des Analphabetismus, welches sie sogar mit Sicherheit gesellschaftlich abweten würde, und an der Teilnahme an den unmenschlichen Verbrechen des Nationalsozialistischen Regimes. Für mich persönlich klärt sich die Schuldfrage alleine schon bei der Entscheidung dieser Wahl.
Des weiteren folgten kleine Textbelege und Andeutungen auf Hannas Schuld [...]
Mein letztes Argument, welches für Hannas Schuld stand, war, dass sie am Ende des Romans Selbstmord begeht. Hanna erlernt das Lesen, tritt in die sogenannte "Mündigkeit" ein, erarbeitet die Geschichte des Dritten Reichs und sieht (komischerweise erst bei der Erarbeitung aus Dokumenten und nicht als sie "live" dabei war) ihre Schuld ein. Die Konfrontation mit ihrer Selbstverschuldung wird ihr unerträglich, sie bringt sich um, ein Unschuldiger hätte das ja wohl nicht tun müssen.
Die Argumente standen so wie ich sie hier hingeschrieben habe in einer sprachlich angemessenen und ausführlichen (Textbelege, etc.) Form auf meinen Klausurbögen. Ich wundere mich sehr über die alles andere als angenehme Note und meine (endlich :lol: ) Frage ist es jetzt: was kann man noch zur Schuldfrage schreiben?
Danke, alleine schon fürs durchlesen!
Von Marie (Gast)
Erstellt vor 16 Jahren
#6755

Vorleser - Schuldfrage

Also deine Argumente für Hannas Schuld bzw. Unschuld sind echt gut ... und wenn du die auch mit Zitaten belegt hast, weiß ich nicht, warum du ne eher nicht so gute Note bekommen hast.
Ein weiteres Argument für Hannas Schuld ist der Teil, in dem Hanna in ihrem "Testament" den Wunsch hinterlässt, dass die Tochter, die mit ihrer Mutter den Brand in der Kirche überlebt hat, ihr Geld erhalten soll. Als Michael nach New York reist, um sich mit der Tochter zu treffen, sagt er ihr, dass Hanna den Jahren der Haft einen Sinn geben und sie nicht nur als auferlegte Sühne ansehen wollte. Indem sie das Geld einem Opfer hinterlässt, will sie Anerkennung erhalten, möglicherweise ihre Schuld begleichen.
Genauso ist ihr Leben im Gefängnis ein Beweis für ihre Schuld und dafür, dass sie ihre Schuld erkennt. Die Gefängnisleiterin erzählt Michael, wie Hanna in ihrer Haft gelebt hat. Du hattest ja geschrieben, dass sie lesen gelernt hat, sich über das Dritte Reich informiert usw. ... als Ergänzung könnte man noch den Aspekt der körperlichen Veränderung ansprechen. Anfangs ist sie eine gepflegte Frau, die bei den anderen Gefangenen ein hohes Ansehen genießt, jedoch ein klösterliches Leben führt. Die Leiterin vermutet, dass sie ihr letzendlich der Rückzug ins klösterliche Leben nicht mehr gereicht hätte und mit der Zeit (und besonders stark zum Ende ihrer Haft) lässt sie sich gehen und achtet nicht mehr auf ihr Äußeres. Ihr Ansehen bei den anderen Frauen sinkt mehr und mehr. Die Leiterin spricht davon, dass Hanna sich nicht aufgegeben hat, sondern lediglich ihren Ort neu definiert hat, in dem sie, ihrer Meinung nach in ihrer Lage zu sein hat. Dies könnte man so interpretieren, dass Hanna sich endgültig mit ihrer Schuld abgefunden hat und durch ihr äußeres Erscheinungsbild ihre Schuld verarbeiten will. Ich denke nicht, dass sie so ihre Schuld zum Ausdruck bringen will. Ich denke eher, dass es eine Form von Problembewältigung ist ... genauso, wie die Tatsache, dass sie sich mit dem Dritten Reich beschäftigt hat.
*uups* ganz schön viel, aber ich hoffe, das hat dir ein bisschen weitergeholfen ... wenn du noch Fragen hast, kannst du dich ja melden.
Von Oleg (Gast)
Erstellt vor 16 Jahren
#6756

...

Danke! dass Hanna sich "gehen lässt" gegen Ende ihrer Haft hab ich nie beachtet.
Aber noch mal kurz, um es zusammenzufassen:
Trägt Hanna jetzt die Verantwortung für ihre Taten? Ist sie jetzt Schuld?
Ich weiß nicht, ich bin vollkommen überzeugt davon, dass sie Schuld ist. Auch wenn mans objektiv betrachtet, Analphabetismus kann keine Ausrede für Verbrechen dieser Art sein.
....oder?!?
Von Marie (Gast)
Erstellt vor 16 Jahren
#6757

Hannas Schuld

Bitte, bitte ... kein Problem! So hab ich das Ganze ja quasi auch wiederholt und muss das nicht noch mal so ausführlich machen.

Hhmm ... Du hast Recht, wenn du sagst, dass Analphabetismus keine Ausrede für eine solche Tat sein kann. Schließlich hat Lesen und Schreiben nichts damit zu tun, ob man soetwas macht oder nicht. Der Grund dafür, dass sie Aufseherin wird, ist der, dass ihr bei Siemens eine Beförderung angeboten wird (ich weiß nicht mehr so genau, ob es so im Buch steht, aber auf jeden Fall wurde ihr eine neue Stelle angeboten) und sie diese auf Grund ihres Analphabetismuses nicht annehmen kann.Somit muss sie kündigen und nimmt die Arbeit im KZ an, vermutlich ohne vorher zu wissen, welche Aufgaben sie da erwarten. So war es nämlich meist bei den Leuten, die in KZs gearbeitet haben. Sie gingen da ohne genaue Vorstellungen hin und sahen erst da, was sie zu tun hatten. Zu diesem Zeitpunkt konnten sie aber die Arbeit dort nicht mehr verweigern. In dieser Situation war also auch Hanna. Hört sich nach einem weiteren Argument für ihre Unschuld an, aber: Im Buch wird an keiner Stelle erwähnt, dass sie sich gegen die KZ-Arbeit ausspricht und ihre Reaktion beim Brand spricht auch nicht für sie. Ein normaler Mensch sollte in der Lage sein zu erkennen, dass es moralisch nicht vertretbar ist, (im Lager) gewisse Menschen zu selektieren oder Menschen bewusst verbrennen zu lassen. Und dass sie ihre Zeit im Gefängnis als Zeit der Sühne ansieht spricht auch dafür, dass sie ihre Schuld gesteht.
Wenn man das Ganze objektiv betrachtet, muss man wohl beachten, wieviel für und wieviel gegen Hanna spricht. Daran haben wir im Unterricht auch festgemacht, ob sie die Schuld trägt oder nicht. Da ich mehr Gegenargumente gefunden habe, ist sie meiner Meinung nach schuldig.

Du hattest ja geschrieben, dass ihr in der Vorklausur die Schuldfrage des Romans besonders berücksichtigen sollt ... bezog sich das nur auf Hannas Taten?
Denn, wenn nicht, könnte man noch die Schuldproblematik aus Michaels Sicht und die 1. & 2. Schuld mit einbringen...
Von Oleg (Gast)
Erstellt vor 16 Jahren
#6758

...

Naja, die Menschen konnten damals frei entscheiden, ob sie im KZ weiterarbeiten oder ob sie eine andere Stelle suchen, wenn die Aufgaben im KZ gegen die eigenen Moralvorstellungen waren. In den Jahren von 1941 bis 1945 vielleicht nicht mehr, auf Grund der Kriegssituation. Bin mir aber ziemlich sicher, dass Hanna so um 1935 oder so ins KZ gegangen ist. Und sowieso, die Situation mit dem Kirchenbrand: Es gab keinen Grund mehr, die Menschen gefangen zu halten. Es gab keinen Grund, die Menschen in der Kirche verbrennen zu lassen. Unmündigkeit hat nichts damit zu tun.
SO. :D
erste und zweite Schuld? Du musst mich entschuldigen, ich hab nen "nicht so tollen" Lehrer, der mich kaum fürs Abi vorbereitet hat. Wirklich viel ist bei der Besprechung des Buches nicht rausgekommen, ich weiß nicht ganz was du meinst...
Von Oleg (Gast)
Erstellt vor 16 Jahren
#6759

shit!

ok. ich hab im letzten Eintrag nen dicken Fehler gemacht.
Hanna ist 1943 ins KZ gekommen, nicht 1935.
Dann kann es doch sein, dass Hanna von ihrem Posten nicht mehr weg konnte.
Was aber generell stimmt für die Menschen, die im KZ gearbeitet haben: die meisten von ihnen taten es freiwillig. Bis heute ist nicht ganz klar, weshalb stinknormale Bürger ins KZ gingen und dort ganz normal arbeiteten (war übrigens ein großer Artikel in der vorletzten Spiegel Ausgabe, falls es jemanden interessiert :D ). Es wurde niemand zu seiner Arbeit gezwungen, alle taten es freiwillig.
Von Marie (Gast)
Erstellt vor 16 Jahren
#6760

...

Na, da haste dann aber nicht richtig gelesen ... :wink: ... Im 2. Teil/ 3. Kapitel steht, dass Hanna bestätigt bis zum Frühjahr 1944 in Auschwitz gearbeitet zu haben und danach bis zum Winter 1944/1945 im Lager in Krakau eingesetzt gewesen zu sein. Wir haben da so einen echt coolen Zeitstrahl zusammengestellt, mit den ganzen Stationen in Hannas & Michaels Leben. Der ist echt hilfreich! Aber über das Jahr 1935 steht, soweit ich weiß, nichts im Buch.

Die 1. Schuld bezieht sich auf die Generation, die die Geschehnisse quasi "live" miterlebt hat. Sie sehen die Schuld für die ganzen Geschehnisse in dem Hitler-Regime und streiten jegliche Eigenverschuldung ab. Dabei waren sie diejenigen, die Hitler erst die Möglichkeit gegeben haben an die Macht zu kommen. Durch ihr Handeln haben sie eine gewisse Teilschuld an den Ausmaßen dieser Zeit. Ohne ihre Unterstützung hätte Hitler vermutlich nicht die Möglichkeit gehabt, so viel zu bewirken. Diese Generation sieht sich nur als Opfer dieser Zeit und nicht als Mitverursacher.

Die 2. Schuld bezieht sich auf die darauffolgende Generation. Sie ist geprägt durch das Verhalten der 1. Generation. Dadurch, das sie die gesamte Schuld von sich gewiesen hat, muss nun die 2. Generation die Schuld auf sich nehmen. Sie müssen durch die Verdrängung und Verleumnung der 1. Generation die Schuld "begleichen". Die 2. Generation muss sich ständig für das Fehlverhalten und für die Ereignisse im Dritten Reich rechtfertigen und muss darauf achten, dass ein ähnliches Verhalten nicht noch einmal geschieht. Die Schuld sitzt also tief in der Gesellschaft. Sie muss demnach stärker unter den Ausmaßen leiden, als die 1. Generation, die ja nur als Opfer angesehen wurde.

Wir haben auch darüber diskutiert, ob es eine 3. Schuld gibt ... also, ob wir uns schuldig fühlen. Wir haben allerdings nicht genau festgelegt, ob sie existiert oder nicht. Wir haben jedoch gesagt, dass es in unserer Schuld steht, uns über die Geschichte zu informieren und zu wissen, was damals geschehen ist.

So, ich hoffe es ist einigermaßen verständlich, was mit der 1. und 2. Schuld gemeint ist. Wenn du noch Fragen dazu oder zu etwas anderem hast, kannste ja fragen. Vielleicht kann ich ja nochmal helfen. :D
Biste eigentlich im GK oder LK?
Von Oleg (Gast)
Erstellt vor 16 Jahren
#6761

...

Achso, du meinst mit erster und zweiter Schuld die Elterngeneration und die Nachkriegsgeneration. Ja gut, das hatten wir auch alles.
Danke für die Antworten!
Ich hab Deutsch Lk.
Wenn du willst, kannst du ja noch die anderen Fragen von mir zu emilia galotti und Empfindsamkeit lesen :lol:
Von petermafay88 (Gast)
Erstellt vor 8 Jahren
#10032

Re: "Vorleser, Schuldfrage..."

ihr seid alles MUDDIS ihr könnt rein Garnichts ihr pickelfressen
Von nekroposter (Gast)
Erstellt vor 5 Jahren
#11539

Re: "Vorleser, Schuldfrage..."

nekroposting ist cool
Von Yeetman (Gast)
Erstellt vor 2 Jahren
#11543

Re: "Vorleser, Schuldfrage..."

Erhebt euch, ihr Menschen, die morgen eine Klausur über das Buch schreiben.
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