1. Hinweise
(Die nachfolgenden Hinweise sind praktisch identisch mit denen zur Übersetzung des ersten Aufzugs.)
Dieser Artikel enthält eine „Übersetzung” des vierten Aufzugs von Iphigenie auf Tauris in modernes Deutsch. Die Übersetzung wurde — so gut es ging — Vers für Vers durchgeführt, sodass die einzelnen Verse jeweils in Goethe-Deutsch und in modernem Deutsch ungefährlich den gleichen Sinn haben sollten. Immer eingehalten werden konnte das nicht. Die Übersetzung hier ist als Vorschlag anzusehen. Sicherlich kann man einige Abschnitte anders übersetzen und vermutlich habe ich bei einigen auch nicht Goethes Intention getroffen (er macht es einem nicht gerade leicht...). Textstellen an denen ich mir besonders unsicher war und die daher mit besonderer Vorsicht zu genießen sind habe ich entsprechend markiert (etwa mit (unsicher) oder (?)). Grundsätzlich kann es auch bei den sonstigen Abschnitten nicht schaden, sich eine eigene Meinung zu bilden. Soweit dies sinnvoll erschien habe ich auch in den Versen zusätzlichen Text oder Wörter ergänzt (so wird z. B. des öfteren aus „Diane” „Göttin Diana”), sodass die Aussage klarer wird. Der Text kann (ohne die Übersetzung) bei gutenberg.org eingesehen werden.
Andere Aufzüge: Erster Aufzug, zweiter Aufzug, dritter Aufzug.
2. 4. Aufzug, 1. Auftritt
Goethe-Deutsch | Modernes Deutsch |
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Iphigenie. Denken die Himmlischen Einem der Erdgebornen Viele Verwirrungen zu, Und bereiten sie ihm Von der Freude zu Schmerzen Und von Schmerzen zur Freude Tief-erschütternden Übergang; Dann erziehen sie ihm n der Nähe der Stadt, Oder am fernen Gestade, Daß in Stunden der Noth Auch die Hülfe bereit sei, Einen ruhigen Freund. O segnet, Götter, unsern Pylades Und was er immer unternehmen mag! Er ist der Arm des Jünglings in der Schlacht, Des Greises leuchtend Aug' in der Versammlung: Denn seine Seel' ist stille; sie bewahrt Der Ruhe heil'ges unerschöpftes Gut, Und den Umhergetriebnen reichet er Aus ihren Tiefen Rath und Hülfe. Mich Riß er vom Bruder los; den staunt' ich an Und immer wieder an, und konnte mir Das Glück nicht eigen machen, ließ ihn nicht Aus meinen Armen los, und fühlte nicht Die Nähe der Gefahr die uns umgibt. Jetzt gehn sie ihren Anschlag auszuführen Der See zu, wo das Schiff mit den Gefährten In einer Bucht versteckt auf's Zeichen lauert, Und haben kluges Wort mir in den Mund Gegeben, mich gelehrt was ich dem König Antworte, wenn er sendet und das Opfer Mir dringender gebietet. Ach! ich sehe wohl, Ich muß mich leiten lassen wie ein Kind. Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten Noch jemand etwas abzulisten. Weh! O weh der Lüge! Sie befreiet nicht, Wie jedes andre wahrgesprochne Wort, Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie ängstet Den, der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt, Ein losgedruckter Pfeil, von einem Gotte Gewendet und versagend, sich zurück Und trifft den Schützen. Sorg' auf Sorge schwankt Mir durch die Brust. Es greift die Furie Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder Des ungeweihten Ufers grimmig an. Entdeckt man sie vielleicht? Mich dünkt, ich höre Gewaffnete sich nahen!—Hier!—Der Bote Kommt von dem Könige mit schnellem Schritt, Es schlägt mein Herz, es trübt sich meine Seele, Da ich des Mannes Angesicht erblicke, Dem ich mit falschem Wort begegnen soll. |
Iphigenie: Wenn die Götter bei einem Menschen Verwirrung erzeugen, wenn sie seine Gemütslage von Glück zu Leid und umgekehrt mit heftigen Übergängen schwanken lassen, dann bringen sie ihm bei, egal ob er in der Stadt oder auf einer fernen Insel lebt, dass in den Stunden tiefer Not auch stets Hilfe nah ist in Form eines Freundes (?). Daher segnet bitte Pylades, ihr Götter! Und segnet auch was er plant! Er ist wie ein rechter Arm, er unterstützt wo er nur kann. Er ist ruhig und gelassen und kann daher den Gehetzten Rat und Hilfe bieten. Er hat mich von meinem Bruder losgerissen, den ich bewundert habe, dessen Anwesenheit mich so glücklich gemacht hat, den ich nie mehr loslassen wollte, aber den ich aufgrund der baldigen Opferung eben doch zunächst gehen lassen musste. Sie sind losgezogen, um ihren Plan auszuführen, hin zur Küste der Insel, wo sie ein Schiff mit Freunden haben, das in einer versteckten Bucht auf ihr Zeichen wartet. Mir haben sie erklärt was ich dem König erzählen soll, wenn er ungeduldig wird und von mir endlich die Opferung verlangt. Ja, ich sehe schon, ich muss mich rumkommandieren lassen wie ein kleines Kind. Ich habe nie gelernt, Hinterhalte aufzubauen, andere zu täuschen oder zu lügen. Die Wahrheit auszusprechen ist angenehmer und befreiender als zu lügen. Die Lüge tröstet nicht, sie erzeugt nur Angst, denn wenn sie einmal ausgesprochen ist, dann gibt es kein Zurück und wenn es den Göttern so beliebt, dann wendet sie sich plötzlich gegen den Lügner. Oh ich werde immer sorgenvoller. Vielleicht wird ja mein Bruder wieder ganz verzweifelt, jetzt wo er den heiligen Boden verlassen hat und zur Küste läuft? Vielleicht entdeckt sie sogar jemand? Ich höre Soldaten! Der Bote des Königs kommt herbei. Mein Herz rast... Was soll ich nur tun? Immerhin muss ich dem Boten jetzt ins Gesicht schauen und ihn anlügen. |
3. 4. Aufzug, 2. Auftritt
Goethe-Deutsch | Modernes Deutsch |
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Arkas. Beschleunige das Opfer, Priesterin! Der König wartet und es harrt das Volk. |
Arkas: Was dauert denn bei der Opferung so lange? Beeilt euch! Der König und das Volk werden schon ungeduldig. |
Iphigenie. Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink, Wenn unvermuthet nicht ein Hinderniß Sich zwischen mich und die Erfüllung stellte. |
Iphigenie: Ich würde ja gerne meine Pflicht und dein Kommando befolgen, aber es kam etwas dazwischen, was die Opferung vorerst verzögert hat. |
Arkas. Was ist's, das den Befehl des Königs hindert? |
Arkas: Und was ist das genau? |
Iphigenie. Der Zufall, dessen wir nicht Meister sind. |
Iphigenie: Der Zufall — und auf den habe ich keinen Einfluss. |
Arkas: So sage mir's, daß ich's ihm schnell vermelde: Denn er beschloß bei sich der beiden Tod. |
Arkas: Sag schon genauer was passiert ist. Dann kann ich das dem König melden. Immerhin hat den Tod der beiden Gefangenen befohlen! |
Iphigenie. Die Götter haben ihn noch nicht beschlossen. Der ält'ste dieser Männer trägt die Schuld Des nahverwandten Bluts, das er vergoß. Die Furien verfolgen seinen Pfad, Ja in dem innern Tempel faßte selbst Das Übel ihn, und seine Gegenwart Entheiligte die reine Stätte. Nun Eil' ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere Der Göttin Bild mit frischer Welle netzend, Geheimnißvolle Weihe zu begehn. Es störe niemand unsern stillen Zug! |
Iphigenie: Ja, aber die Götter haben den Tod noch nicht befohlen. Der ältere der beiden Gefangenen hat Schuld auf sich geladen: Er hat jemanden aus seiner Familie ermordet. Jetzt verfolgen ihn die Rachegöttinnen. Selbst hier im Tempel, auf heiligem Boden haben sie ihn erfasst. Seine bloße Gegenwart hat den Tempel entweiht. Ich muss daher nun mit meinen Jungfrauen das Bildnis der Göttin Diana zum Meer bringen, es dort waschen und wieder weihen. Diese Zeremonie darf von niemanden gestört werden! |
Arkas. Ich melde dieses neue Hinderniß Dem Könige geschwind; beginne du Das heil'ge Werk nicht eh' bis er's erlaubt. |
Arkas: Ich werde dieses Problem dem König so schnell wie möglich melden. Beginnt nicht damit bevor der König nicht zugestimmt hat! |
Iphigenie. Dieß ist allein der Priestrin überlassen. |
Iphigenie: Das ist allein die Entscheidung einer Priesterin. |
Arkas. Solch seltnen Fall soll auch der König wissen. |
Arkas: Von solch einer besonderen Angelegenheit sollte der König aber zunächst erfahren. |
Iphigenie. Sein Rath wie sein Befehl verändert nichts. |
Iphigenie: Das macht keinen Unterschied, er hat keinen Einfluss darauf. |
Arkas. Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt. |
Arkas: Aus bloßem Respekt heraus sollte er gefragt werden, auch wenn er keine wirkliche Entscheidungsgewalt hat. |
Iphigenie. Erdringe nicht, was ich versagen sollte. |
Iphigenie: Verlang nicht von mir Dinge, die ich ablehnen sollte. |
Arkas. Versage nicht, was gut und nützlich ist. |
Arkas: Und lehn du nicht ab, was eine Freundliche Geste ist. |
Iphigenie. Ich gebe nach, wenn du nicht säumen willst. |
Iphigenie: Nagut, ich gebe nach... |
Arkas. Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager, Und schnell mit seinen Worten hier zurück. O könnt' ich ihm noch eine Botschaft bringen, Die alles lös'te, was uns jetzt verwirrt: Denn du hast nicht des Treuen Rath geachtet. |
Arkas: Ich werde nicht lang zu ihm brauchen und so bald wie möglich zurück sein. Ich wünschte ich könnte ihm einfach die Nachricht überbringen, dass du der Heirat zustimmst. Aber du hast meinen Rat ja nicht befolgt. |
Iphigenie. Was ich vermochte, hab' ich gern gethan. |
Iphigenie: Ich habe ihn so weit befolgt wie es in meiner Macht stand. |
Arkas. Noch änderst du den Sinn zur rechten Zeit. |
Arkas: Jetzt hättest du noch Gelegenheit, deine Meinung zu ändern. |
Iphigenie. Das steht nun einmal nicht in unsrer Macht. |
Iphigenie: Das steht nicht in meiner Macht. |
Arkas. Du hältst unmöglich, was dir Mühe kostet. |
Arkas: Es steht in deiner Macht. Es würde dich nur ein wenig Mühe kosten. |
Iphigenie. Dir scheint es möglich, weil der Wunsch dich trügt. |
Iphigenie: Du hälst meine Zustimmung nur für möglich, weil es dein Wunsch ist, dass ich zustimme. |
Arkas. Willst du denn alles so gelassen wagen? |
Arkas: Ist dir das was geschieht denn völlig gleichgültig? |
Iphigenie. Ich hab' es in der Götter Hand gelegt. |
Iphigenie: Ich habe es in die Hände der Götter gelegt. Sollen sie entscheiden, was passiert. |
Arkas. Sie pflegen Menschen menschlich zu erretten. |
Arkas: Nun, die Götter retten gewöhnlich andere Menschen auf eher menschliche Weise — und greifen nicht direkt ein. |
Iphigenie. Auf ihren Fingerzeig kömmt alles an. |
Iphigenie: Zunächst müssen die Götter ein Zeichen geben. |
Arkas. Ich sage dir, es liegt in deiner Hand. Des Königs aufgebrachter Sinn allein Bereitet diesen Fremden bittern Tod. Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer Und von dem blut'gen Dienste sein Gemüth. Ja, mancher, den ein widriges Geschick An fremdes Ufer trug, empfand es selbst, Wie göttergleich dem armen Irrenden, Umhergetrieben an der fremden Gränze, Ein freundlich Menschenangesicht begegnet. O wende nicht von uns was du vermagst! Du endest leicht was du begonnen hast: Denn nirgends baut die Milde, die herab In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt, Ein Reich sich schneller, als wo trüb und wild Ein neues Volk, voll Leben, Muth und Kraft, Sich selbst und banger Ahnung überlassen, Des Menschenlebens schwere Bürden trägt. |
Arkas: Es liegt in deiner Hand, Iphigenie. Nur weil der König nocht so aufgewühlt ist will er, dass die Fremden geopfert werden. Die Armee hatte sich schon längst daran gewöhnt, dass keine Opferungen mehr durchgeführt werden. So manch einer, der selbst in einer fremden Region gestrandet war nach seiner Verzweiflung und dem zielloses Umherirren froh, einen freundlichen Menschen zu sehen. Hör nicht mit dem auf, was du am besten kanns. (?) Du hast dafür gesorgt, dass die Opferungen aufhören und nun sorgst du leichtfertig dafür, dass sie wieder beginnen. Nirgendswo wirkt die Milde, die von den Göttern in Form eines Menschen gesendet wird, schneller als in einem Reich in dem ein neues Volk lebt, das mutig und voller Kraft ist und das — sich selbst überlassen und unschlüssig — die Aufgaben des Lebens meistern muss. |
Iphigenie. Erschüttre meine Seele nicht, die du Nach deinem Willen nicht bewegen kannst. |
Iphigenie: Hör auf mich zu verunsichern, du kannst meine Meinung ohnehin nicht genau so verändern wie du es gern hättest. |
Arkas. So lang es Zeit ist, schont man weder Mühe Noch eines guten Wortes Wiederholung. |
Arkas: Solange noch Zeit ist werde ich es versuchen, egal wie oft ich es probieren muss. |
Iphigenie. Du machst dir Müh und mir erregst du Schmerzen: Vergebens beides: darum laß mich nun. |
Iphigenie: Dich kostet das Zeit und mich verletzt es, ohne dass es irgendwas verändert. Lass es daher besser. |
Arkas. Die Schmerzen sind's, die ich zu Hülfe rufe: Denn es sind Freunde, Gutes rathen sie. |
Arkas: Gerade diese Schmerzen will ich ja hervorrufen, sie sind hilfreich, denn sie bringen dich vielleicht dazu, das richtige zu tun. |
Iphigenie. Sie fassen meine Seele mit Gewalt, Doch tilgen sie den Widerwillen nicht. |
Iphigenie: Sie ergreifen vielleicht Besitz von mir, aber meinen Widerwillen gegen die Heirat werden sich nicht beseitigen. |
Arkas. Fühlt eine schöne Seele Widerwillen Für eine Wohlthat, die der Edle reicht? |
Arkas: Spürst eine gute Seele wie du wirklich Widerwillen etwas zu tun, was der Welt zugute kommt? |
Iphigenie. Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt, Statt meines Dankes mich erwerben will. |
Iphigenie: Ja und zwar dann wenn man nicht meine Dankbarkeit, sondern mich selbst will. (?) |
Arkas. Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es An einem Worte der Entschuld'gung nie. Dem Fürsten sag' ich an, was hier geschehn. O wiederholtest du in deiner Seele, Wie edel er sich gegen dich betrug Von deiner Ankunft an bis diesen Tag. |
Arkas: Wer keine bestimmten Vorlieben hat, dem sollte es leicht fallen, sich zu entschuldigen. (?) Nun, ich werde dem König Bericht erstatten. Ich hoffe während ich weg bin denkst du noch mal darüber nach, wie gutmütig der König zu dir seit deiner Ankunft war. |
4. 4. Aufzug, 3. Auftritt
Goethe-Deutsch | Modernes Deutsch |
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Iphigenie (allein). Von dieses Mannes Rede fühl' ich mir Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke!— Denn wie die Fluth mit schnellen Strömen wachsend Die Felsen überspült, die in dem Sand Am Ufer liegen: so bedeckte ganz Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt In meinen Armen das Unmögliche. Es schien sich eine Wolke wieder sanft Um mich zu legen, von der Erde mich Empor zu heben und in jenen Schlummer Mich einzuwiegen, den die gute Göttin Um meine Schläfe legte, da ihr Arm Mich rettend faßte.—Meinen Bruder Ergriff das Herz mit einziger Gewalt: Ich horchte nur auf seines Freundes Rath; Nur sie zu retten drang die Seele vorwärts. Und wie den Klippen einer wüsten Insel Der Schiffer gern den Rücken wendet: so Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt, Daß ich auch Menschen hier verlasse, mich Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug Verhaßt. O bleibe ruhig, meine Seele! Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln? Den festen Boden deiner Einsamkeit Mußt du verlassen! Wieder eingeschifft Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, trüb Und bang verkennest du die Welt und dich. |
Iphigenie (alleine): Von diesem Gespräch fühl ich mich — ausgerechnet jetzt wo die Flucht ansteht — sehr aufgewühlt und verunsichert. Genauso wie die Flut den Strand unter sich bedeckt so war ich auch Von der großen Freude über das Wiedersehen mit meinem Bruder völlig eingenommen. Ich durfte ihn endlich wieder in meinen Armen halten. Ich fühlte mich wie von einer Wolke umgeben, die mich sanft von der Erde erhob und in einen friedlichen Schlaf wiegte. Genauso wie mich eins Göttin Diana bevor ich geopfert werden sollte am Altar erfasste und mir das Leben rettete. Ich konnte nur noch an meinen Bruder denken und folgte genau dem Plan seines Freundes. Nur ihre Rettung war noch wichtig. Genauso wie ein Seemann eine gefährliche Küste am liebsten hinter sich lässt, genauso hatte ich diese Insel auch bereits in Gedanken hinter mir gelassen. Arkas hat mir nun die Augen geöffnet: Ich verlasse auf diesem Weg auch die Menschen dieser Insel! Gleich doppelt werden meine Lügen Wut hervorrufen (?). Ich muss ruhig bleiben! Beginn ich schon am Plan zu zweifeln? Aus der Einsamkeit an die du dich gewöhnt hast musst du ausbrechen! (?) (?) |
5. 4. Aufzug, 4. Auftritt
Goethe-Deutsch | Modernes Deutsch |
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Pylades. Wo ist sie? daß ich ihr mit schnellen Worten Die frohe Botschaft unsrer Rettung bringe! |
Pylades: Wo ist Iphigenie? Ich will ihr erzählen, dass wir bald gerettet werden! |
Iphigenie. Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung Des sichern Trostes, den du mir versprichst. |
Iphigenie: Ich bin hier — voller Sorge und zugleich Erwartung über den sicheren Trost, den du mir mitteilen wirst. |
Pylades. Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden Des ungeweihten Ufers und den Sand Betraten wir mit fröhlichen Gesprächen; Der Hain blieb hinter uns, wir merkten's nicht. Und herrlicher und immer herrlicher Umloderte der Jugend schöne Flamme Sein lockig Haupt; sein volles Auge glühte Von Muth und Hoffnung, und sein freies Herz Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust, Dich, seine Retterin, und mich zu retten. |
Pylades: Dein Bruder ist geheilt! Wir betraten den Felsenboden und den Sand an der Küste während wir fröhliche Gespräche führten. Wir ließen die heilige Tempelanlage hinter uns, ohne dass es irgendwelche Auswirkungen auf ihn gehabt hätte. Er kam aus sich heraus, wirkte wieder jugendlich lebendig. Seite Augen glänzten. Er strahlte Mut und Hoffnung aus, wirkte wieder frei und glücklich. Sein einziger Wunsch war nur noch dich und mich zu retten. |
Iphigenie. Gesegnet seist du, und es möge nie Von deiner Lippe, die so Gutes sprach, Der Ton des Leidens und der Klage tönen! |
Iphigenie: Du seist gesegnet! Ich hoffe, dass du — nachdem du so viel Gutes getan hast — niemals Leid erfahren musst. |
Pylades. Ich bringe mehr als das; denn schön begleitet, Gleich einem Fürsten, pflegt das Glück zu nahn. Auch die Gefährten haben wir gefunden. In einer Felsenbucht verbargen sie Das Schiff und saßen traurig und erwartend. Sie sahen deinen Bruder, und es regten Sich alle jauchzend, und sie baten dringend Der Abfahrt Stunde zu beschleunigen. Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder, Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd, Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen. Drum laß uns eilen, führe mich zum Tempel, Laß mich das Heiligthum betreten, laß Mich unsrer Wünsche Ziel verehrend fassen. Ich bin allein genug, der Göttin Bild Auf wohl geübten Schultern wegzutragen; Wie sehn' ich mich nach der erwünschten Last! (Er geht gegen den Tempel unter den letzten Worten, ohne zu bemerken, daß Iphigenie nicht folgt; endlich kehrt er sich um.) Du stehst und zauderst—Sage mir—Du schweigst! Du scheinst verworren! Widersetzet sich Ein neues Unheil unserm Glück? Sag' an! Hast du dem Könige das kluge Wort Vermelden lassen, das wir abgeredet? |
Pylades: Ich habe noch mehr gute Nachrichten. Denn wer so gute Freunde hat, der hat auch das Glück auf seiner Seite. Wie haben auch das Schiff mit unseren Gefährten gefunden. Sie hatten sich in einer Bucht versteckt und warteten dort sorgenvoll auf uns. Als sie deinen Bruder sahen jubelten sie vor Freude und baten uns, so schnell wie möglich von hier abzureisen. Die Seeleute wollten schon an die Ruder springen, selbst ein Wind erhob sich, doch alle bemerkten schnell, dass wir noch etwas zu erledigen hatten. Daher sollten wir uns beeilen. Lass uns in den Tempel gehen, das Heiligtum betreten. Dann kann ich das Bildnis der Göttin Diana holen. Ich kann es schon alleine tragen, meine Schultern sind dafür stark genug. Ich sehn mich geradezu danach es zu tragen! (Während er noch spricht geht er bereits in Richtung Tempel. Er bemerkt erst nicht, dass Iphigenie nicht folgt und kehrt erst nach einiger Zeit um.) Du bleibst stehen? Zauderst du? Was ist los? Du sagst ja nichts... Du wirkst verwirrt. Ist etwas passiert, was uns nun von unserem Plan und damit unserem Glück abhält? Sag schon! Hast du dem König das erzählt was ich dir aufgetragen habe? |
Iphigenie. Ich habe, theurer Mann; doch wirst du schelten. Ein schweigender Verweis war mir dein Anblick. Des Königs Bote kam, und wie du es Mir in den Mund gelegt, so sagt' ich's ihm. Er schien zu staunen, und verlangte dringend Die seltne Feier erst dem Könige Zu melden, seinen Willen zu vernehmen; Und nun erwart' ich seine Wiederkehr. |
Iphigenie: Ich habe genau das getan. Trotzdem wirst du fluchen. (?) Der Bote des Königs ist gekommen und ich sagte ihm genau das was ich ihm deiner Meinung nach sagen sollte. Er wirkte erstaunt und wollte das zuerst den König melden und nach seiner Meinung fragen. Nun warte ich hier auf seine Rückkehr. |
Pylades. Weh uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr Um unsre Schläfe! Warum hast du nicht In's Priesterrecht dich weislich eingehüllt? |
Pylades: Oh nein! Nun sind wir wieder in Gefahr. Wieso hast du dich nicht einfach mit dem Priesterrecht herausgeredet. |
Iphigenie. Als eine Hülle hab' ich's nie gebraucht. |
Iphigenie: Ich habe das Priesterrecht noch nie zur Durchsetzung meiner Interessen missbraucht. |
Pylades. So wirst du, reine Seele, dich und uns Zu Grunde richten. Warum dacht' ich nicht Auf diesen Fall voraus, und lehrte dich Auch dieser Fordrung auszuweichen! |
Pylades: Du und deine Ehrlichkeit werden uns noch zu Grunde richten! Ich hätte es kommen sehen müssen. Ich hätte dich auch auf diese Forderung vorbereiten müssen. |
Iphigenie. Schilt Nur mich, die Schuld ist mein, ich fühl' es wohl; Doch konnt' ich anders nicht dem Mann begegnen, Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte, Was ihm mein Herz als Recht gestehen mußte. |
Iphigenie: Du brauchst nicht um die Sache herumreden. Ich weiß, dass das ganze meine Schuld ist. Aber ich musste nunmal seiner vernünftigen und rechtmäßigen Forderung zustimmen, denn mein Herz gab ihm Recht. |
Pylades. Gefährlicher zieht sich's zusammen; doch auch so Laß uns nicht zagen, oder unbesonnen Und übereilt uns selbst verrathen. Ruhig Erwarte du die Wiederkunft des Boten, Und dann steh fest, er bringe was er will: Denn solcher Weihung Feier anzuordnen Gehört der Priesterin und nicht dem König. Und fordert er den fremden Mann zu sehn, Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist; So lehn' es ab, als hieltest du uns beide Im Tempel wohl verwahrt. So schaff' uns Luft, Daß wir auf's eiligste, den heil'gen Schatz Dem rauh unwürd'gen Volk entwendend, fliehn. Die besten Zeichen sendet uns Apoll, Und, eh' wir die Bedingung fromm erfüllen, Erfüllt er göttlich sein Versprechen schon. Orest ist frei, geheilt!—Mit dem Befreiten O führet uns hinüber, günst'ge Winde, Zur Felsen-Insel die der Gott bewohnt; Dann nach Mycen, daß es lebendig werde, Daß von der Asche des verloschnen Herdes Die Vatergötter fröhlich sich erheben, Und schönes Feuer ihre Wohnungen Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch Zuerst aus goldnen Schalen streuen. Du Bringst über jene Schwelle Heil und Leben wieder, Entsühnst den Fluch und schmückest neu die Deinen Mit frischen Lebensblüthen herrlich aus. |
Pylades: Das wird jetzt ganz schön heikel werden. Aber wir dürfen nicht verzweifeln und erst recht nicht uns selbst verraten. Bleib hier und warte geduldig auf den Boten. Aber egal was er dir als Nachricht überbringt, bleib bei unserem Plan. Solch eine Zeremonie anzuordnen ist nämlich einzig das Recht der Priesterin. Der König hat das nichts zu sagen. Falls der König verlangt deinen Bruder zu sehen, der nach unserer Geschichte noch immer am Rande des Wahnsinns ist, musst du auf jeden Fall ablehnen. Tu so als ob wir noch immer im Tempel gefangen gehalten werden. Organisier uns etwas Zeit, dann können wir das Bildnis der Göttin Diana diesem unzivilisierten Volk stehlen und damit fliehen. Apollon sendet uns bereits die beisten Zeichen. Schon bevor wir seinen Auftrag durchgeführt haben hat er sein Versprechen eingelöst. Orest ist endlich wieder geheilt und frei! Nun, da das der Fall ist müssen wir nur noch einen günstigen Wind erwischen und schon sind wir auf Apollons Felseninsel (Delphi). Von da aus können wir dann weiter nach Mycen in Griechenland. Wo aus der Asche des erloschenen Herdes (?) sich die Vätergötter erheben mögen (?) wenn ein schönes neues Feuer (?) ihre Wohnung erhellt. Du wirst Weihrauch (?) aus goldenen Schalen verteilen, (?) wirst Leben und Gesundheit in das Haus bringen und so den Fluch der Familie vergehen lassen und deine Verwandten glücklich machst. |
Iphigenie. Vernehm' ich dich, so wendet sich, o Theurer, Wie sich die Blume nach der Sonne wendet, Die Seele, von dem Strahle deiner Worte Getroffen, sich dem süßen Troste nach. Wie köstlich ist des gegenwärt'gen Freundes Gewisse Rede, deren Himmelskraft Ein Einsamer entbehrt und still versinkt. Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen, Gedank' ihm und Entschluß; die Gegenwart Des Liebenden entwickelte sie leicht. |
Iphigenie: Wenn ich dir zuhöre wende ich mich — genauso wie sich eine Blume zur Sonne wendet — deinen Worten zu und genieße deren Trost. Angenehm ist die Rede eines Freundes, (?) die man als einsamer Mensch entbehrt und in die man versinken kann, denn langsam wächst der Gedanke an ihm und der Entschluss, seinen Plan zu befolgen. (?) Die Gegenwart des Bruders macht es einfacher. (?) |
Pylades. Leb' wohl! Die Freunde will ich nun geschwind Beruhigen, die sehnlich wartend harren. Dann komm' ich schnell zurück und lausche hier Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink— Was sinnest du? Auf einmal überschwebt Ein stiller Trauerzug die freie Stirne. |
Pylades: Bis bald, ich muss jetzt zu meinen Freunden auf dem Schiff, die auf mich warten und die ich beruhigen muss. Dann werde ich zurück kommen so schnell ich kann, mich im Gebüsch verstecken und auf den Zeichen warten. Wodran denkst du? Du wirkst auf einmal so traurig. |
Iphigenie. Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne, So zieht mir vor der Seele leichte Sorge Und Bangigkeit vorüber. |
Iphigenie: Verzei mir. Genauso wie Wolken die Sonne verdecken, so wird auch mein Mut von Sorge und Angst verdeckt. |
Pylades. Fürchte nicht! Betrüglich schloß die Furcht mit der Gefahr Ein enges Bündniß; beide sind Gesellen. |
Pylades:
Keine Angst. Man fürchtet sich immer, wenn die Situation gefährlich wird. Gefahr und Furcht gehören zusammen. |
Iphigenie. Die Sorge nenn' ich edel, die mich warnt, Den König, der mein zweiter Vater ward, Nicht tückisch zu betrügen, zu berauben. |
Iphigenie: Meine Sorge wirkt aber edel auf mich. Der König war wie ein Vater für mich. Es ist unrecht ihn zu hintergehen und zu berauben. |
Pylades. Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du. |
Pylades: Du fliehst nur vor dem Mann, der deinen Bruder opfern lassen will. |
Iphigenie. Es ist derselbe, der mir Gutes that. |
Iphigenie: Aber genau dieser Mann hat mich so gut behandelt. |
Pylades. Das ist nicht Undank, was die Noth gebeut. |
Pylades: Wenn du jetzt fliehst, dann ist das nicht Undankbarkeit. Du hast einfach keine andere Wahl. |
Iphigenie. Es bleibt wohl Undank; nur die Noth entschuldigt. |
Iphigenie: Es bleibt Undankbarkeit. Die Not ist nicht mehr als eine Entschuldigung für mein Handeln. |
Pylades. Vor Göttern und vor Menschen dich gewiß. |
Pylades: Vor Göttern und vor Menschen ist das eine sehr gute Entschuldigung. |
Iphigenie. Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt. |
Iphigenie: Ich fühl mich trotzdem mies dabei. |
Pylades. Zu strenge Fordrung ist verborgner Stolz. |
Pylades: Du bist zu streng mit dir, das kommt von deinem Stolz. |
Iphigenie. Ich untersuche nicht, ich fühle nur. |
Iphigenie: Wieso ich genau so fühle interessiert mich nicht, nur dass ich es fühle. |
Pylades. Fühlst du dich recht, so mußt du dich verehren. |
Pylades: Es ist die seltene Ausnahme, dass man sich bei einem Plan wirklich gut fühlt. (?) |
Iphigenie. Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz. |
Iphigenie: Nur das Herz selbst kann sich ohne Nebengedanken genießen. (?) |
Pylades. So hast du dich im Tempel wohl bewahrt; Das Leben lehrt uns, weniger mit uns Und andern strenge sein; du lernst es auch. So wunderbar ist dieß Geschlecht gebildet, So vielfach ist's verschlungen und verknüpft, Daß keiner in sich selbst, noch mit den andern Sich rein und unverworren halten kann. Auch sind wir nicht bestellt uns selbst zu richten; Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen Ist eines Menschen erste, nächste Pflicht: Denn selten schätzt er recht was er gethan, Und was er thut weiß er fast nie zu schätzen. |
Pylades: Du hast dich im Tempel nicht verändert. Das Leben bringt uns bei, mit uns selbst und anderen weniger streng zu sein. Auch du wirst das lernen. Die Menschen (?) stehen untereinander in so vielen Beziehungen miteinander, (?) dass keiner mit sich selbst und mit den anderen (?) völlig im Reinen bleiben kann. Irgendjemanden verletzt man immer. (?) Wir sind nicht im Stande, uns selbst angemessen zu beurteilen und auch nicht den Weg, den wir gehen, zu bewerten. Daran muss sich jeder Mensch halten, denn nur selten ist die Meinung über das was er getan hat angemessen und fast nie weiß er die guten Taten zu schätzen. |
Iphigenie. Fast überred'st du mich zu deiner Meinung. |
Iphigenie: Fast überredest du mich, deine Meinung anzunehmen. |
Pylades. Braucht's Überredung, wo die Wahl versagt ist? Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten Ist nur Ein Weg; fragt sich's ob wir ihn gehen? |
Pylades: Muss ich dich dazu überreden? Hast du denn eine Wahl? Wenn du deinen Bruder, dich, und mich retten willst, dann gibt es nur einen Weg. Willst du ihn gehen? |
Iphigenie. O laß mich zaudern! denn du thätest selbst Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen, Dem du für Wohlthat dich verpflichtet hieltest. |
Iphigenie: Lass mich zögern! Du würdest ja auch niemandem Unrecht antun, der dich so sehr unterstützt hat. |
Pylades. Wenn wir zu Grunde gehen, wartet dein Ein härtrer Vorwurf, der Verzweiflung trägt. Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt, Da du dem großen Übel zu entgehen Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst. |
Pylades: Wenn wir geschnappt werden dann ist das noch viel schlimmer als zu lügen. Dann wirst du die Verzweiflung spüren. Offenbar bist du nicht an Verluste gewöhnt, denn nicht mal um uns das Leben zu retten bist du bereit, eine kleine Lüge zu verwenden. |
Iphigenie. O trüg' ich doch ein männlich Herz in mir! Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt, Vor jeder andern Stimme sich verschließt. |
Iphigenie: Ich wünscht ich hätte den Charakter eines Mannes. Dann würde ich wohl zur Erfüllung meines Plans alle anderen Bedenken beruhigt ignorieren. |
Pylades. Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand Der Noth gebietet, und ihr ernster Wink Ist oberstes Gesetz, dem Götter selbst Sich unterwerfen müssen. Schweigend herrscht Des ew'gen Schicksals unberathne Schwester. Was sie dir auferlegt, das trage: thu' Was sie gebeut. Das Andre weißt du. Bald Komm' ich zurück, aus deiner heil'gen Hand Der Rettung schönes Siegel zu empfangen. |
Pylades: Dein Zögern ist zwecklos. Aufgrund unserer brenzligen Situation hast du gar keine andere Wahl. Selbst die Götter müssen sich manchmal solchen Notwendigkeiten unterwerfen. Das ist die Herrschaft der Not: Was du tun musst, das musst du tun. Akzeptier das. Unseren Plan kennst du ja. Bald werde ich zurückkommen. Dann übergibst du mir hoffentlich das Bildnis der Göttin Diana (?) |
6. 4. Aufzug, 5. Auftritt
Goethe-Deutsch | Modernes Deutsch |
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Iphigenie. Ich muß ihm folgen: denn die Meinigen Seh' ich in dringender Gefahr. Doch ach! Mein eigen Schicksal macht mir bang und bänger. O soll ich nicht die stille Hoffnung retten, Die in der Einsamkeit ich schön genährt? Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll Nie dieß Geschlecht mit einem neuen Segen Sich wieder heben?—Nimmt doch alles ab! Das beste Glück, des Lebens schönste Kraft Ermattet endlich, warum nicht der Fluch? So hofft' ich denn vergebens, hier verwahrt, Von meines Hauses Schicksal abgeschieden, Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen Die schwer befleckte Wohnung zu entsühnen! Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder Vom grimm'gen Übel wundervoll und schnell Geheilt, kaum naht ein lang erflehtes Schiff, Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten, So legt die taube Noth ein doppelt Laster Mit ehrner Hand mir auf: das heilige Mir anvertraute, viel verehrte Bild Zu rauben und den Mann zu hintergehn, Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke. O daß in meinem Busen nicht zuletzt Ein Widerwille keime! der Titanen Der alten Götter tiefer Haß auf euch, Olympier, nicht auch die zarte Brust Mit Geierklauen fasse! Rettet mich Und rettet euer Bild in meiner Seele! |
Iphigenie: Ich habe wohl keine andere Wahl als zu lügen, schließlich sind mein Bruder und sein Freund in Gefahr. Ach... Wo bin ich da nur reingeraten. Soll ich mich jetzt nicht darauf einlassen, wo ich so lange auf diesen Augenblick gewartet habe? Soll der Fluch der Familie ewig halten? Soll unsere Familie nie die Chance bekommen, wieder ohne den Fluch ein normales Leben zu führen? Selbst das schönste im Leben vergeht (?) warum dann nicht auch der Fluch? (?) Ich habe wohl vergeblich gehofft, dass ich hier — weit weg von meiner Familie — frei von Schuld bleiben würde und eines Tages mit reinem Herzen zurückkehren könnte in das Haus der Familie, das so befleckt ist von all den Verbrechen. Kaum dass mein Bruder bei mir wie durch ein Wunder von seinem Wahnsinn erlöst wurde, endlich geheilt ist, und ein Schiff an der Küste liegt, mit dem ich nach Hause reisen könnte, genau da zwingt mich die Situation gleich zwei Verbrechen zu begehen: Zum einen das Bildnis der Göttin Diana zu stehlen und zum anderen denjenigen zu betrügen, dem ich mein Leben verdanke und der so viel Einfluss auf mich hatte. Ich hoffe, dass nicht so kurz vor der Tat noch Widerwillen in mir aufkommt. Ich hoffe, dass dieser Hass, den die Ahnen (?) auf die Götter haben, nicht auch noch (?) mich befällt. Rettet mich, Götter und damit auch meine positive Meinung von euch. |
Vor meinen Ohren tönt das alte Lied— Vergessen hatt' ich's und vergaß es gern— Das Lied der Parzen, das sie grausend sangen, Als Tantalus vom goldnen Stuhle fiel: Sie litten mit dem edeln Freunde; grimmig War ihre Brust, und furchtbar ihr Gesang. In unsrer Jugend sang's die Amme mir Und den Geschwistern vor, ich merkt es wohl. |
Ich erinnere mich wieder an ein altes Lied, ich hatte es schon fast vergessen, das Lied, das die Schicksalsgöttinnen sangen, als Tantalos seinen Platz am Tisch der Götter verlor. Sie litten mit ihm, so war auch das Lied voll Trauer. Meine Amme hat es mir und meinen Geschwistern in meiner Kindheit vorgesungen. |
Es fürchte die Götter Das Menschengeschlecht! Sie halten die Herrschaft In ewigen Händen, Und können sie brauchen Wie's ihnen gefällt. |
Die Götter sind es, Die von den Menschen gefürchtet werden müssen. Denn die Götter bleiben die Herrscher bis in alle Ewigkeit und können diese Macht verwenden wie auch immer sie es wollen. |
Der fürchte sie doppelt, Den je sie erheben! Auf Klippen und Wolken Sind Stühle bereitet Um goldene Tische. |
Derjenige, der von ihnen erhoben wird, muss sie gleich doppelt fürchten. Hoch in den Wolken befinden sich die Stühle für diese Erhobenen rund um die goldenen Tische der Götter. |
Erhebet ein Zwist sich: So stürzen die Gäste Geschmäht und geschändet In nächtliche Tiefen, Und harren vergebens, Im Finstern gebunden, Gerechten Gerichtes. |
Falls es dann zum Streit kommt stürzen die Gäste der Götter von ihnen verschmäht in die Tiefe und warten vergeblich in der Finsternis auf ein faires Gericht (?). |
Sie aber, sie bleiben In ewigen Festen An goldenen Tischen. Sie schreiten vom Berge Zu Bergen hinüber: Aus Schlünden der Tiefe Dampft ihnen der Athem Erstickter Titanen, Gleich Opfergerüchen, Ein leichtes Gewölke. |
Die Götter aber bleiben im Himmel. Feiern auf ewig Feste an den goldenen Tischen. Sie schreiten von Bergen zu Bergen. Aus der Tiefe steigt der Atem der Gefallenen auf wie der Geruch von Opfern, wie kleine Wolken (?). |
Es wenden die Herrscher Ihr segnendes Auge Von ganzen Geschlechtern, Und meiden, im Enkel Die ehmals geliebten Still redenden Züge Des Ahnherrn zu sehn. |
Die Götter wenden sich von ganzen Familien ab, denn sie glauben, in den Enkeln der ehemals Willkommenen noch Merkmale ihrer Ahnen zu sehen. |
So sangen die Parzen; Es horcht der Verbannte In nächtlichen Höhlen Der Alte die Lieder, Denkt Kinder und Enkel Und schüttelt das Haupt. |
Das sangen die Schicksalsgöttinnen. Der Verbannte hört in seiner Höhle die Lieder, denkt an seine Kinder und Enkel und schüttelt den Kopf. |
Kommentare (44)
Von neu nach altWir bitten um ihr Verständnis.
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